Ansichten zu Perry Rhodan Heft 3350

Der Fall Ragnarök – Ben Calvin Hary

Die beiden Topsider Koor-Chrik und Phat-Chrik landen mit ihrem Frachter KACHNIR auf der malaysischen Halbinsel in der Nähe von Kuala Lumpur. Hier betreibt ihr Förderer Wylon Hypertech einen Forschungscampus. Den beiden Echsen ist nicht ganz wohl. Zweimal haben sie die Anfrage NATHANS abgelehnt, einen Splitter in der Bordpositronik ihres Schiffes zu installieren. Sie befürchten, sich dadurch verdächtig zu machen. Die beiden Gelegebrüder sind Forscher, deren Ausgrabungen von John Wylon finanziert werden. In den Tiefen der Anlage übergeben sie ihr Transportgut an einen Vertrauten von John Wylon. Gegenüber Mr. Doula, wie sich der Assistent ansprechen lässt, begehen die Topsider einen Fehler. Sie lassen durchblicken, dass sie wissen, um was es sich bei dem Artefakt handelt, das sie übergeben. Damit haben sie ihr Todesurteil unterzeichnet. Roboter eröffnen das Feuer. Die Transportbox wird unabsichtlich beschädigt und gibt das Unepal, ein mumifiziertes Geschöpf frei, dessen Alter die Forscher auf mindestens 50 Jahrtausende datiert haben. Die Mumie wird getroffen und ein psionischer Impuls wird ausgelöst.

Am 31.10.2255 NGZ ist Perry Rhodan in seiner Funktion als Repräsentant und NATHAN-Sprecher bei der Wiedereröffnung der Linie „SB-64 – Sirius River City/New Atlan Space Port“ an Bord eines Schwebezugs zugegen. NATHAN macht den Unsterblichen auf den Frachter KACHNIR aufmerksam, der sich merkwürdig verhält. Mitten in der Eröffnungszeremonie registriert NATHAN, der auch der Gute Geist von Terra genannt wird, einen psionischen Impuls, der sich mit 21.000-facher Lichtgeschwindigkeit ausbreitet. Dadurch werden die Verbindungen NATHANS, dessen Programmsplitter in allen Positroniken im Solsystem stecken, unterbrochen. Der Schwebezug stürzt ab und eine Katastrophe kann geradeso abgewendet werden. Auch an anderen Orten Terras kommt es zu Ausfällen. Jasper Cole, der frischgebackene Fähnrich der Solaren Flotte, bekommt dies ebenfalls zu spüren. Seine Gruppe wird nach Kuala Lumpur geschickt.

Auch Perry Rhodan macht sich auf dem Weg dorthin. Eigentlich erwartet der Unsterbliche sehnsüchtig die Rückkehr von Sichu Dorksteiger, die sich zusammen mit Atlan mit der YDUA auf dem Weg nach Terra befindet. Aber das Problem im Forschungscampus von Wylon geht vor. Aufgrund von Privatsphäreeinstellungen hat NATHAN keinen direkten Zugriff auf die Vorgänge dort. Es scheinen jedoch unterirdische Kämpfe stattzufinden. Vor Ort trifft der NATHAN-Sprecher, der sich permanent mit Akasha Pal, der amtierenden Residentin der Liga Freier Galaktiker und mit Liga-Verteidigungsminister Maciej Temmister abstimmt, auf Jasper Cole und seine Gruppe sowie TLD-Agenten. Über dem Areal beziehen Schiffe der Solaren Flotte Stellung.

Offizielle Anfragen an das Areal werden von dort ablehnend beantwortet. Ein Dekontaminationskommando sei vor Ort im Einsatz. Die Situation beurteilt Rhodan jedoch anders und dringt an der Spitze von Soldaten und Agenten in den Forschungscampus ein. Jasper Cole erkennt als Erster, mit was man es zu tun hat. Durch den Impuls ist Fressmetall aktiv geworden, teilt sich und attackiert die Anlage. Rhodan und seine Leute retten Menschleben und versuchen das Störfeld abzuschalten. Im Labor werden Daten gesichert. Der Inhalt des geheimnisvollen Transports der Topsider ist jedoch verschwunden. Wylon hat dem Fressmetall den Namen Reproiden verliehen. Der Unsterbliche kennt den Bericht von Sichu, die in der Agolei einem verblüffend ähnlichen Phänomen begegnet ist. Krabbenroboter mit einer zügellosen Vermehrung, dazu die neunzackigen Fraßlöcher, die dem Symbol des geheimnisvollen Symbionten Aelor ähneln. Rhodan sieht eindeutig Zusammenhänge. Nach Verlassen des Areals zerstört die Flotte die Anlage mit Thermostrahlsalven. Die Reproiden-Kontamination Terras scheint gebannt.

Doch nur kurze Zeit später werden Reproiden an verschiedenen Orten entdeckt und sie vermehren sich exponentiell. Der Fall Ragnarök wird ausgerufen. NATHAN wird dadurch mit allen Rechten ausgestattet, um eigenmächtig die Bedrohung zu eliminieren.

Rezension

Pünktlich zu Halloween erschien Perry Rhodan Roman 3350. Die Handlung der Geschichte spielt ebenfalls an Halloween. Allerdings 3817 Jahre von heute an in der Zukunft. Ben Calvin Hary, der Autor der Geschichte, erwähnt Halloween in seiner Geschichte nicht, läutet aber gleichwohl die Nacht des Grauens ein.

Die Perry Rhodan-Serie hat die KI entdeckt. 64 Jahre nach Serienstart scheint das Thema Künstliche Intelligenz seinen Einzug in die Schilderungen einer zukünftigen Menschheit zu feiern. Dabei ist erwähnenswert, dass KI schon immer Bestandteil der Serie war, seitdem Perry Rhodan ab Heft 1 beginnend mit Positroniken konfrontiert wurde. Während es zum Serienstart den Begriff der Künstlichen Intelligenz eigentlich schon gab, verweigerte die Serie jahrzehntelang diesen oder ähnliche Begriffe auf die geschilderten Rechengehirne anzuwenden. Hervorgehoben wurde meist nur deren Geschwindigkeit in der Durchführung von Rechenoperationen. Zudem mussten diese Rechengehirne noch mühselig mit Lochstreifen gefüttert werden. Modernere Schnittstellen, sei es für die Kommunikation oder für die Ein- und Ausgabe, kamen erst sehr viel später. Die Serie ist diesbezüglich in ihrer Vergangenheit hängengeblieben. Diese „Standards“, an die sich Autoren und Leser gewöhnt haben, wirken nun anachronistisch. Und noch seltsamer wirkt es dann, wenn dieses Thema, das uns in der realen Welt seit einigen Jahren begleitet, nun handlungsrelevant wird. Andererseits gibt es wohl keinen besseren Zeitpunkt, als einen Zyklusauftakt, um sich des Themas anzunehmen und die Darstellungen von KI moderner zu gestalten. Neuleser werden es leichter haben.

Ben Calvin Hary, aus dessen Feder der Roman stammt, hatte das Problem zu bewältigen, die KI (NATHAN) mit ihren Fähigkeiten zu schildern. Das wirkte mitunter etwas komisch, wenn neben Perry Rhodan ein Avatar projiziert wird. Man stelle sich Events vor, die neben den tausenden von Besuchern auch noch hunderte oder tausende Avatare aufnehmen müssen. Heute beschäftigen sich die Menschen mit ihren Smartphones. In der Zukunft wandelt neben jedem Bürger ein Avatar des Guten Geistes. Schrecklich! Mit dem mikrosekundengenauen Protokoll, das Perry übermittelt wird, versucht der Autor die Möglichkeiten der KI aufzuzeigen. In der Realität oder vielmehr in der Fiktion werden Perry die Mitteilungen über die Geburt eines Neubürgers oder die Katalogisierung eines Mikroasteroiden beim Neptun nicht die Bohne interessieren. Wenn der Autor schreibt, dass seiner Figur das Lesen solcher Protokolle zur Routine geworden ist, dann befürchte ich das Schlimmste für unseren Helden!

Der Einstieg in den neuen Zyklus hielt ich (zunächst) für wenig gelungen. Meine Gedanken schweiften wegen der Darstellung von NATHAN, von dem Programme in jeder anderen Positronik stecken, im Roman „Splitter“ genannt, schnell ab. Die Serie hatte sich in der Vergangenheit bereits in eine andere Richtung entwickelt. Neben hervorgehobenen Großrechnern wie LAOTSE oder NATHAN gab es unabhängige Positroniken und redundante Systeme. Natürlich verschafft sich der Autor mit der Schilderung der Splitter genügend Potential, um eine spannende Geschichte zu schreiben, denn der Wegfall einer Verbindung zum Guten Geist Terras hat ausufernde und gefährliche Szenarien zur Folge. Noch in Heft 3349 wäre der Schwebezug mit einem Notfallprogramm sicher gelandet. Nun aber beschwört der Systemwechsel Katastrophen herauf. Und das Ganze auch noch ohne Reproidenbefall.

Sehr gut entwickelt hat der Autor die Figur Jasper Cole. Sowohl seine berufliche Laufbahn als auch die Änderungen in seiner Persönlichkeitsbildung sind nachvollziehbar und überzeugend beschrieben. Das zeigt sich in der geschilderten Innensicht Jaspers als auch in der Beobachtung Perry Rhodans, als er dem jungen Mann bescheinigt, seine frühere Hibbeligkeit verloren und im Sport ein Ventil gefunden zu haben.

Mit der Reproidenbedrohung Terras zu beginnen, gehörte zunächst auch zu jenen Aspekten, die ich kritisch beäugte. Der Autor schafft es aber, beginnend nach dem Schwebezugdesaster, seine Geschichte kontinuierlich voranzutreiben und die Spannung bis zuletzt zu steigern. Niemand aus der Leserschaft wird damit rechnen, dass Terra aufgefressen wird. Die Dramaturgie passte aber. Am Ende wird der Fall Ragnarök ausgerufen und damit der Einstieg in eine Betrachtung der Auswirkungen von KI ermöglicht. Welche positiven Folgen hat die Übertragung der Macht an NATHAN und wie können ggf. negative Folgen reduziert werden? Wie tief die Raketenheftchenserie in das Thema KI-Ethik eintauchen wird, bleibt abzuwarten. In Heft 3350 kratzt sie mit Begriffen wie Privatsphäre und Datenschutz nur an der Oberfläche. Und welche Rolle wird die von Sloreg für seinen Vater in Heft 3349 getätigte Aussage, NATHAN müsse als Stellvertreter von ES für die kommende Phase der galaktischen Geschichte unbedingt im Solsystem sein, noch spielen?

Nach zunächst schwachem Beginn spielt der Roman seine Stärken im weiteren Verlauf aus!


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